Als Arzt in der Unternehmensberatung – wie ist das wirklich? Ein Erfahrungsbericht.

von Dr. med. Deborah Becker | Jun 2, 2024 | Blog | 0 Kommentare

Arzt als Unternehmensberater

Du hast im Studium oder nach einiger Zeit im Beruf schon mal mit dem Gedanken gespielt das Gesundheitswesen zu verlassen? Die Unternehmensberatung ist ein möglicher Ausstieg und eine spannende Alternative, wenn du offen für neue Herausforderungen bist und deine Kompetenzen in einem anderen Bereich einsetzen möchtest. Erfahre hier aus erster Hand, ob dieser Ausstieg für dich die richtige Entscheidung sein könnte.

Was ist eigentlich eine Unternehmensberatung und was macht man da als Arzt?

Es gibt drei große Unternehmensberatungen: Mc Kinsey & Company, Bain & Company, BCG (Boston Consulting Group). Manche sagen vier und zählen Deloitte dazu – wobei diese definitiv zu den 4 großen Wirtschaftsprüfbetrieben zählt. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere weltweite, europaweite oder auch kleine regionale Unternehmen.

Ich persönlich kann nur von den Erfahrungen aus den großen drei Unternehmensberatungsfirmen berichten.

Eine Unternehmensberatung wie die großen drei berät große Unternehmen aller Branchen. Es gibt Teams unterschiedlicher Größe und im besten Fall mit optimaler Erfahrung in dem geforderten Bereich welches für einen Zeitraum von wenigen Wochen bis Monaten dann vor Ort beim Kunden (also dem Unternehmen oder sogar der Regierung) ist.

Dort gibt es dann ganz verschiedene Probleme bzw. konkrete Fragestellungen, die das Unternehmen geklärt haben möchte. Dabei kann es sich um Geldeinsparung, Fusionen oder Abspaltungen von Unternehmen oder deren Teilen, Einkauf einer neuen Marke, Reaktion auf eine Veränderung in der Politik oder am Markt oder etwas ganz anderes handeln. Da viel Erfahrung und Wissen und vor allem Arbeitszeit (d.h. viele Stunden) seitens der Berater investiert werden können und somit ein Problem schnell erfasst, bearbeitet und im besten Falle mit einer kreativen Lösung angegangen werden kann, zahlen die Unternehmen entsprechend hohe Summen an die Beratung – das macht den Verdienst deutlich höher als das Assistenzarztgehalt.

Ärzte lernen das sogenannte Tool Kit – also die Bedienung von Power Point und Excel, aber auch die Sprechweise des Unternehmens, den Umgang mit den Klienten und auch die BWL-Aspekte der Arbeit – zumindest theoretisch “on the job”. Den großen Vorteil, den ein Arzt in der Unternehmensberatung – oder auch ein Jurist, ein Musiker, ein Philosoph oder ein anderer Nicht-BWLer – mitbringt, ist eine über Jahre anders gereifte Denkweise. Probleme werden anders gelöst, ja schon Fragen anders gestellt. Der Fokus bei Problemlösung ist ein anderer – das nennt man dort “out of the box thinking”.

Das wissen Unternehmensberatungen und machen es sich zu Nutze. So kann man als Arzt theoretisch auch in Branchen weit entfernt vom Gesundheitswesen eingesetzt werden, die meisten bleiben jedoch im Pharma- oder Gesundheitswesen-Bereich.

Beispiele für Projekte können sehr interessant sein, wie z.B. die Zusammenarbeit mit einer afrikanischen Regierung um Transportwege von Impfungen zu analysieren und zu verbessern, um so die Impfrate von Kindern zu erhöhen oder ein Medikament in der Testphase zu analysieren und streng geheime Studienergebnisse durchzublättern, um zu entscheiden ob dein Klient es kaufen soll oder nicht – aber das sind natürlich Ausnahmen.

Zumeist geht es in großen Betrieben – ob Pharmakonzerne, Krankenhäuser, Labore oder Pflegeeinrichtungen – nur um eins: Geld einzusparen. Und das ist nun mal häufig durch FTE Release (ein sehr schönes Wort für Entlassungen von Personal) umzusetzen.

Wie läuft so ein Bewerbungsprozess?

Die Bewerbungen können initiativ über ein Bewerbungsportal der jeweiligen Firma erfolgen. Bis zu einer Deadline werden Bewerbungen gesammelt, dann erfolgt im Erfolgsfall eine Einladung zum ersten Bewerbungsgespräch. Es gibt dann, je nach dem auf welcher Stufe man einsteigt (weil das ganze System natürlich sehr hierarchisch aufgestellt ist – obwohl sich alle duzen) unterschiedlich viele Bewerbungsdurchgänge. Einige bestehen aus Gesprächen mit sogenannten Case-studies – also Fällen die man lösen soll und ähnlich wie im Matheunterricht – auf den Lösungsweg kommt es an.

Es gibt gute Bücher um sich darauf vorzubereiten, man kann auch gemeinsam mit anderen die sich bewerben üben – aber jedem ist bewusst, dass man kein BWLer ist, der sich seit Jahren gefühlt nur darauf vorbereitet. Es geht viel um grobes Schätzen, Allgemeinwissen und vor allem um die Frage, wie man generell an unbekannte Problemstellungen herangeht – und wie ruhig man unter Druck bleiben kann.

Es gibt auch psychologische Tests, Computerspiele, in denen man Probleme lösen muss und während der ganzen Zeit vor Ort sehr viele interessante Menschen mit denen man sich unterhält – und guten Kaffee. Natürlich werden Hotel- und Reisekosten übernommen. Nach jeder Bewerbungsrunde erfährt man, ob man es eine Runde weiter geschafft hat und wie es dann weiter geht.

Wenn man es geschafft hat, ist das Startdatum innerhalb eines Jahres selbst wählbar (so war das zumindest bei mir) – denn da die Verweildauer in der Firma durchschnittlich sehr kurz ist, ist fast immer ein Platz frei).

Zwei Dinge an dieser Stelle:

Erstens: Ich war sehr eingeschüchtert von den Harvard und Yale Absolventen die 6 Sprachen sprechen und mindestens 2 Sportarten leistungsmäßig betreiben und außerdem 5 Instrumente spielen – ich übertreibe jetzt. Aber viele Berater und auch die Bewerber haben beeindruckende Lebensläufe – wenn du vor Ort bist und deine erste Bewerbungsmappe mit Motivationsschreiben und Lebenslauf überzeugt hat – trust the process. Ich hatte mich hinter allen anderen eingeordnet beim Abendessen, vor meinen ersten Gesprächen und bin als eine der ganz wenigen überhaupt weitergekommen.

Und das zweite: Der Bewerbungsprozess ist lang und es wird vieles verlangt was wir Mediziner nicht gewohnt sind – wir können nicht einfach hospitieren und zeigen was wir können. Nehmt euch also, wenn ihr es ernst meint, Zeit dafür – es ist stressig und viel neben einem full time job als Arzt. Im besten Fall habt ihr Hilfe von Freunden, die sich in der Beratung oder dem HR Bereich auskennen – ein Lebenslauf der länger als eine Seite ist, landet trotz der hohen Anforderungen meist sofort im Shredder.

Warum ich mich dafür entschieden habe und wie es wirklich ist

Der Kaffee ist besser

Stimmt. Es gibt großartige Kaffeemaschinen in jedem Office und auch bei den meisten Kunden. Es gibt Kühlschränke mit Joghurt und Müsli, Obst, Brot und Milch und meist auch eine recht gute Kantine, in der das Mittagessen von der Firma übernommen wird. Ein Team-Dinner pro Woche geht auf die Firma und für Aufenthalte außerhalb des eigenen Wohnortes werden extra einige Euro zur Verpflegung beigesteuert. Die Hotels sind, je größer das Unternehmen ist, desto nobler und auch die Möglichkeit des Wäscheservice und andere Annehmlichkeiten klingen sehr verlockend für jemanden der Krankenhauskaffee und 24-Stunden-Dienste mit Pizzabestellungen, die ab und zu der Oberarzt übernimmt, gewohnt ist.

Jedoch muss man hier sagen, dass in den letzten Jahren weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden, die Einreichung sämtlicher Rechnungen erforderlich ist  (was einen neben dem stressigen Alltag schnell die Übersicht verlieren lässt) und ein gemütliches Frühstück zu Hause oder eine Verabredung unter der Woche abends mit Freunden nie stattfinden kann – weil man nicht zu Hause ist.

Die Beratung ist besser organisiert und gesünder als das Gesundheitswesen (keine Dienste)

Jein. Ja man hat keine Dienste und theoretisch sind die Nächte und die Wochenenden frei. Es gibt jedoch sehr viele Projekte bei denen man gut und gerne von 7:00 bis nachts um halb 2 durcharbeitet, zusätzlich noch mehrere Flüge die Woche absolviert und keine festen Arbeitszeiten hat. Das Handy ist immer dabei und mich hat es, um ehrlich zu sein, mehr gestresst 24/7 erreichbar zu sein – als das Telefon nach einem stressigen Dienst abzugeben und dann auch wirklich frei zu haben. Es wird zwar offiziell und auch bei den Einstellungsgesprächen so formuliert, dass solche Arbeitszeiten Ausnahmen sind und das auch nicht der Firmenpolitik entspricht – aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn dann noch Desorganisation durch planlose und überlastete Projektleiter und cholerische CEOs oder fehlende Einarbeitung und dadurch maximale Überforderung in einem Bereich, den man nicht studiert hat dazukommen, zieht man einen 24-Stunden-Dienst vor. Ich hatte sowohl sehr gut organisierte Projekte als auch das andere Extrem. und gerade am Anfang ist es sehr schwierig, das selbst zu lenken.

Die Wirtschaftslage ändert sich jedoch ständig und die Firmen sind so vielfältig, so dass die Projektlage und das Team, an das man gerät, sicherlich sehr unterschiedlich sein können. Fragt drei Menschen, die in derselben Unternehmensberatung angefangen haben und ihr werdet möglicherweise diametral verschiedene Antworten auf sämtliche Fragen bekommen. Mehr Privatleben oder bessere Organisation als im Krankenhaus würde ich jedoch von der Erwartungsliste streichen.

Der Verdienst ist besser

Ja, dem ist definitiv so. Zudem hat man deutlich bessere Chancen in den höheren Etagen richtig viel Geld zu verdienen (wir sprechen von 6-stelligen Jahresgehältern), was selbst bei einer eigenen Praxis oder als Chefarzt nicht zu erreichen sein wird – und das nach deutlich weniger Jahren als in der Medizin. Zudem hast du unter der Woche auch weniger Ausgaben. Frühstück und Mittagessen werden von der Firma übernommen, ab und zu sogar Aktivitäten und Abendessen, Meilen und Punkte in Hotels können für private Flüge und Aufenthalte oder Upgrades genutzt werden. Das dauert aber natürlich und lohnt sich zumeist erst nach etwa einem Jahr. Es gibt zusätzliche Leistungen wie Firmenwagen, Jobrad oder Beteiligung an öffentlichen Verkehrsmitteln. Da man unter der Woche nicht zu Hause ist, fallen auch sonstige Ausgaben für Strom und Wasser in der Wohnung oder für private Verabredungen weg – denn dafür hat man keine Zeit.

Die Menschen sind besser gelaunt und die Partys sind besser

Jein. Auch in der Unternehmensberatung gibt es Überlastung, Probleme und Kollegen die ihre Situation realistisch einschätzen – da hilft auch der Verdienst wenig. Andere wiederum sehen die Vorteile und lassen sich davon tragen. Es ist wie überall – es hängt vom Team ab, in das man kommt. Die offiziellen Umgangsformen sind höflicher, dafür könnte man sie als weniger ehrlich empfinden. Viele Probleme werden unter dem Deckmantel der Freundlichkeit auf eine Art und Weise gelöst, die einen ehrlichen Mediziner schon mal erschrecken kann, wobei ich nicht sagen will, dass z.B. die Verteilung von Operationen an Assistenzärzte einem weniger willkürlichen und unterschwelligen System unterliegt.

Die Partys sind besser, das stimmt. Es wird mehr Geld in die Hand genommen, alle haben frei (im besten Fall, denn es muss niemand “on call” sein) – zumindest theoretisch und es wird für das Wohl der Mitarbeiter gesorgt.

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Hand aufs Herz – für wen ist es zu empfehlen?

Frage dich selbst, warum du mit der Medizin begonnen hast.

  • War es einfach ein Interesse an Naturwissenschaften oder analytischem Denken und der Forschung?
  • Bist du frustriert vom Gesundheitssystem und möchtest ihm den Rücken kehren und suchst eine ebenso anstrengende und fordernde Tätigkeit?
  • Bist du vielleicht jemand der gut bis spät in die Nacht arbeiten und morgens bis sieben Uhr schlafen können muss?
  • Oder merkst du, die Arbeit mit den Menschen erfüllt dich nicht so wie gedacht?
  • Problemlösungen interessieren dich eher auf einer analytischen Ebene?
  • Du kannst dich schnell und gerne auf neue Teams und Situationen einstellen und Routinen (vor allem unter der Woche) sind dir nicht wichtig?
  • Du hast keine Verantwortung für eine Familie oder Verwandte, um die du dich z.B. jeden Tag kümmern musst oder zumindest regelmäßig in der gleichen Stadt sein musst?

Dann stehen die Chancen sehr gut, dass du dich als Arzt in der Unternehmensberatung wohl fühlst. Auch wenn du nicht alle Fragen mit ja beantworten kannst, kannst du es zumindest ausprobieren. Es ist ein kompletter Wechsel und du wirst sehr viel schon im Bewerbungsprozess lernen – fürs Leben, den Beruf und vor allem über dich selbst.

Ich hatte ein Gespräch mit einem Partner, der uns, auf die Frage eines anderen Kollegen, was denn sein bester Moment in der Firma war, folgendes sagte: „Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren für diese Firma hier und der schönste Moment war, als mich ein Klient anrief und mich um Hilfe bat, mitten in der Nacht. Ich konnte ihm helfen und er war sehr dankbar und das haben er und ich bis heute nicht vergessen.“

In dem Moment habe ich für mich entschieden, egal wie marode das Gesundheitssystem ist, wie schlecht der Verdienst oder die Bedingungen sind – aber wenn das nach fünf Jahren sein schönster Moment war – dann muss ich zurück in die Medizin. Denn solche Momente sind unserem Beruf relativ regelmäßig immanent und der “impact”, wie man es in der Unternehmensberatung nennt, ist in unserem Beruf so viel höher. Deshalb fällt es vielen Medizinern schwer dort zu bleiben und viele brechen nach 6 – 18 Monaten die Zelte ab. Auch in der kurzen Zeit kann man z.B. für eine eigene Praxisführung oder das BWLer Deutsch im Krankenhaus einiges mitnehmen und garantiert die schönsten Power Point Präsentationen auf Kongressen machen. Was ich damit sagen will: für mich war es keine verlorene Zeit, sondern eine gute Erfahrung und nach 1 – 2 Jahren außerhalb der Medizin keinen Job mehr zu finden, ist keine Sorge die du dir machen musst. Ich persönlich habe sogar einen Job an der Uniklinik antreten können, nach meinem Ausflug.

Fazit

Du kannst immer zurück und hast nichts zu verlieren. Überlege dir dennoch vorher genau, ob du den langen und anstrengenden Bewerbungsprozess durchlaufen willst und sich der Schritt aus der ärztlichen Gemeinschaft lohnt. Vielleicht konnte dir dieser Artikel dabei helfen, auch wenn der natürlich sehr subjektiv ist.

Egal wofür du dich entscheidest, wünsche ich dir viel Erfolg – aber vor allem Freude und das Gefühl das Richtige zu tun.

Dr. Deborah Becker war als Arzt in der Unternehmensberatung tätig

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