Ich habe heute eine unglaubliche Geschichte mit meinem Freund Tim Dachmann geteilt. Dabei habe ich gesagt “…und am Ende ist er ganz umsonst verstorben”. Es geht um den Tod eines Patienten, den ich kennen lernen durfte, bei dem ich das Gefühl hatte, sein Tod hätte durch den Einsatz von gesundem Menschenverstand vermieden werden können. Deshalb möchte ich seine traurige Geschichte mit euch teilen.

Die Ausgangslage

Wir kennen es alle in der Unfallchirurgie: Der ältere Patient, ca. 85 Jahre, aus dem betreuten Wohnen, stürzt und zieht sich einen hüftgelenksnahen Oberschenkelbruch zu. Er wird unfallchirurgisch komplikationslos versorgt,  übersteht die Operation gut und wird danach im Zuge der Krankengymnastik auf Station mobilisiert. Die Entlassung ist bereits geplant. 

 

Corona Isolationsmaßnahmen

Corona-Schutzmaßnahmen

Doch leider ist auch im Jahr 2022 noch nicht alles wie es einmal war. Es werden weiterhin Corona-Schutzmaßnahmen durchgeführt und es finden Routine-Testungen während des Krankenhausaufenthalts statt. So fiel auch bei diesem Patienten, Herrn D., ein positiver Corona-Test auf. Corona-Symptome hatte er zum Glück nie. Doch obwohl er symptomfrei blieb, beschleunigte die Infektion sein Ableben – so sehe ich es zumindest.

Isolation bei unterschiedlichen CT-Werten

Nach dem positiven Test wurde der Patient auf Station isoliert. Nach hausinternem Standard gelten erst Patienten ab einem CT-Wert > 30 als nicht mehr infektiös. Mittlerweile ist es allgemein bekannt, aber noch einmal vereinfacht dargestellt, gibt der CT-Wert die Anzahl der Zyklen an, die notwendig sind, damit eine Viruslast im PCR-Test nachgewiesen werden kann. Je höher also der CT-Wert, desto geringer also die Viruslast. Interessanterweise haben verschiedene Pflegeheime, Reha-Kliniken und sonstige Einrichtungen alle unterschiedliche CT-Werte festgelegt, ab welchen die Patienten ausder Isolation genommen werden dürfen. Eine Reha-Klinik nimmt den Patienten beispielsweise ab einem CT-Wert von 33, ein Pflegeheim ab 37 und ein anderes Pflegeheim ab 35.

Die Festlegung des CT-Wertes, ab welchem die Isolation aufgehoben werden kann, erscheint dadurch willkürlich. Besonders unverständlich dabei ist, dass ein auf Station seit mehreren Wochen isolierter Patient zu Hause schon lange nicht mehr isolationspflichtig ist. In Bayern darf die Isolation aktuell nach 5 Tagen ohne weitere Testung beendet werden, wenn seit 48 Stunden Symptomfreiheit besteht (1).

Positiv getestet – Was ist zu tun?

(1) Bayerisches Staatsministerium für Pflege und Gesundheit: Positiv getestet – Was ist zu tun?

Rückkehr nach Hause erst genehmigt, dann verweigert

Letztendlich war es so, dass der – mittlerweile vom Bruch genesene Herr D. – aufgrund der Isolationsmaßnahmen niedergeschlagen war und sein zu Hause vermisste. Es wollte sehr gerne zurück in das betreute Wohnen, indem er zusätzlich mit Tagespflege versorgt war.

Ich telefonierte daher sowohl mit den Angehörigen, als auch mit der Pflegeeinrichtung und schilderte die Situation. Einen CT-Wert von > 30 hatte der Patient zwar noch nicht erreicht, der durchgeführte Antigentest war allerdings negativ und Symptome bestanden wie beschrieben zu keinem Zeitpunkt. Damit wäre Herr D. also nach den bayerischen Richtlinien schon lange nicht mehr isolationspflichtig gewesen. Hätte er die zufällig entdeckte Corona-Infektion zu Hause bekommen, hätte er sich da nur für 5 Tage in Isolation begeben müssen.

Die Dame von der Pflegeeinrichtung stimmte auch gerne zu, sich Herr D. wieder anzunehmen, so dass zur Freude des Patienten eine Entlassung nach Hause in die Wege geleitet wurde.

Leider ging dann irgendetwas schief. Herr D. erreichte mit dem Transportdienst zwarsein zu Hause, aber nur um direkt wieder zurückgeschickt zu werden. Irgendjemand vor Ort beharrte nun doch auf ein CT-Wert > X und Herr D. wurde wieder in die stationäre Isolation zurücktransportiert.

Tod wegen Depression

Depression in der Isolation

Er war nun hoffnungslos und niedergeschlagen. Offensichtlich hatte er sämtliche Lebenslust verloren. Er beharrte darauf, keine weitere Hilfe zu benötigen, aber er hörte auf zu Essen. Als ich nach dem Wochenende wieder kam, wurde berichtet, dass Herr D. verstorben ist.

Natürlich war Herr D. in einem Alter, in dem man immer mit dem Tod rechnen muss. Und natürlich war er nicht so gesund wie ein achtzehnjähriger. Aber er gehörte auch nicht zu den schwer Kranken, bei denen ein zeitnahes Ableben absehbar ist. Für mich ist klar, Herr D. ist an der Einsamkeit der Isolation verstorben. Er durfte dank Besuchsverbot seine Angehörigen nicht mehr sehen und konnte dann noch nicht einmal in seiner gewohnten Umgebung Abschied nehmen.

Mein Appell: Gesunder Menschenverstand statt nur Dienst nach Vorschrift

Ich teile das nicht mit Euch, um euch den Tag zu vermiesen oder gegen die Politik aufzubringen. Ich möchte auch keine einzelnen Personen oder Berufsgruppen angreifen.

Dennoch hoffe ich, dass der eine oder andere an dieser Stelle darüber nachdenkt, wie er sich in der Situation als Beteiligter verhalten hätte. Was hätte man selbst als beteiligte Pflegekraft vor Ort entschieden? Noch einmal Kontakt mit dem Krankenhaus aufnehmen, bevor man die Aufnahme ablehnt? Herrn D. korrekt nach Corona Richtlinien Bayerns ohne Isolation in sein zu Hause lassen? Hätte man als Mitarbeiter vom Transportdienst den Patienten tatächlich gegen seinen Willen wieder zurücktransportiert? In wie weit, hätte man Verantwortung übernehmen und die eigenen Handlungsoptionen innerhalb der gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien nutzen können?

Die Situation ist zweifelsohne schwierig, aber machen wir es uns manchmal auch nicht zu leicht, indem wir Verantwortlichkeiten leichtfertig abgeben? Ist es nur die Zeit, in denen wir uns alle – insbesonder aus der Medizinbranche – mehr und mehr überlastet fühlen oder wird es zum allgemeinen Trend?

Fakt ist, dass am Ende aber “Dienst nach Vorschrift” dazu führte, dass der Patientenwunsch auf der Strecke blieb. Und das obwohl – wenn man es mit gesundem Menschenverstand betrachtet – diesem nichts entgegenstande. 

Und wenn wir uns die Fragen oben gestellt haben, dann können wir uns zu Allerheiligen noch einmal dieselben Fragen stellen und überlegen, wie wir sie beantworten, wenn es unser Großvater, Vater oder Onkel gewesen wäre.

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